Statt Liberalisierung des Arbeitsverbots menschenwürdige Arbeit für junge Menschen. Ein Plädoyer gegen den neoliberalen Umgang mit Kinderarbeit in den USA

In mehreren Bundesstaaten der USA werden seit einigen Monaten Gesetze lanciert, die es Unternehmen erleichtern sollen, junge Menschen zu beschäftigen, denen die Ausübung einer Erwerbsarbeit bisher aufgrund ihres geringen Alters verboten war. Auf den ersten Blick kommen die geplanten Gesetze den Wünschen vieler Kinder und Jugendlicher entgegen, einer Arbeit nachzugehen und eigenes Geld zu verdienen. Doch sie haben mit dem von den Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher sowie von ProNATs geforderten Recht der Kinder, in Würde zu arbeiten, nichts zu tun. Stattdessen tragen sie dazu bei, die Notlagen vieler Familien oder junger Migrant*innen auszunutzen, um sich der billigen Arbeitskraft junger Menschen zu bemächtigen und sie auszubeuten.

Ein Gesetzentwurf im US-Bundesstaat Minnesota würde es 16- und 17-Jährigen erlauben, auf dem Bau zu arbeiten. Ein Gesetzentwurf in Iowa würde es 14- und 15-Jährigen erlauben, bestimmte Arbeiten in Fleisch verarbeitenden Betrieben und industriellen Wäschereien zu verrichten. Mit Genehmigung der staatlichen Behörden könnten 15-Jährige auch „leichte Fließbandarbeit“ ausüben oder bis zu 25 kg schwere Produkten aus Fahrzeugen ein- und ausladen sowie in Supermarktregalen ein- und ausräumen, „je nach Stärke und Fähigkeit des Fünfzehnjährigen“. Ein Gesetz in Iowa würde es auch ermöglichen, die Arbeitszeiten von jungen Menschen während des Schuljahres auszuweiten und die Unternehmen vor zivilrechtlicher Haftung zu schützen, wenn ein junger Mensch bei der Arbeit erkrankt, verletzt oder getötet wird.

Der Bundesstaat New Jersey hatte bereits 2022 ein Gesetz erlassen, mit dem die Zahl der Stunden, die Kinder außerhalb der Schulzeit arbeiten dürfen, erhöht wurde. Die Legislative von Wisconsin hob die Beschränkung der Arbeitszeiten während des Schuljahres auf, allerdings legte der Gouverneur sein Veto gegen das Gesetz ein. Der Senat von Ohio verabschiedete ein ähnliches Gesetz einstimmig, doch es wurde von der unteren Kammer des Parlaments bisher abgelehnt.

Den Hintergrund für diese geplanten Gesetzesänderungen bilden der Arbeitskräftemangel und das Interesse der Unternehmen, mit möglichst billigen Arbeitskräften ihre Einstellungsprobleme zu lösen. Die gegenwärtige Arbeitslosenquote in den USA ist mit 3,4 Prozent so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese Zahl täuscht aber darüber hinweg, dass immer mehr Menschen auf eine prekäre Arbeit angewiesen sind, die nicht zum Lebensunterhalt ausreicht. Aufgrund der zunehmenden materiellen Notlage vieler Familien, die zudem keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, sind viele Eltern in den USA darauf angewiesen, dass ihre Kinder einen Job finden oder mehr arbeiten, um über die Runden zu kommen.Dies gilt nicht zuletzt für Immigrant*innen aus Mittel- und Südamerika, darunter viele unbegleitete Migrantenkinder, deren Notlage und Rechtlosigkeit ausgenutzt wird, um sie wirtschaftlich auszubeuten, z.B. auf Großfarmen, in Fabriken, Schlachtereien oder McDonalds-Filialen.

Die Initiative zu den Gesetzesänderungen geht durchweg von Abgeordneten der Republikanischen Partei aus. Hinter ihnen steht eine neoliberale Denkfabrik, die sich Foundation for Government Accountability nennt. Im Januar 2022 hatte sie ein Papier veröffentlicht mit dem Titel „How States Can Streamline the Hiring Process for Teenage Workers and Restore Decision-Making to Parents“ (Wie Staaten den Einstellungsprozess für jugendliche Arbeitnehmer straffen und die Entscheidungsbefugnis der Eltern wiederherstellen können). Diese Formulierung suggeriert eine angebliche Wahlfreiheit der Eltern, die in Wahrheit durch deren materielle Notlage immer mehr eingeschränkt wird. Sie nimmt auch in keiner Weise Bezug auf den Willen und die Rechte der jungen Menschen selbst.

In dem Papier der Stiftung werden bezeichnenderweise auch Möglichkeiten erörtert, wie staatliche Sozialleistungen eingeschränkt werden können, um mehr junge Menschen zur Arbeit zu veranlassen. So unterstützte die Stiftung kürzlich einen Gesetzesentwurf in der Legislative von Iowa, der die Bedürftigkeitsprüfung für das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), über das notleidende Familien mit Lebensmitteln versorgt werden, verschärfen sollte – wodurch Tausende aus dem Programm herausgefallen wären. Die Stiftung setzt sich außerdem seit Jahren dafür ein, dass die Bundesstaaten die dringend notwendige Ausweitung von Medicaid, der staatlichen Krankenversicherung, auf in Not geratene Familien verhindern.

Aus diversen Untersuchungen geht hervor, dass in den USA – wie in Deutschland und anderen Ländern – viele junge Menschen einer Arbeit nachgehen und eigenes Geld verdienen wollen, teils aus einer Notlage heraus, teils um selbstständiger leben zu können. Gesetze die dies pauschal verbieten, indem sie hierfür ein bestimmtes Mindestalter vorschreiben, haben dies bisher erschwert oder unmöglich gemacht. Mehr noch, sie haben die Arbeit junger Menschen in ein rechtloses Dunkelfeld verbannt und sie bei der Arbeit weitgehend schutzlos gemacht. Wie ernst das Problem und wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigt sich daran, dass das Arbeitsministerium der USA seit 2018 einen Anstieg der Fälle von „illegaler Kinderarbeit“ um fast 70 Prozent festgestellt hat.

Um die dadurch entstehenden Probleme zu lösen, muss jungen Menschen ermöglicht werden, sich bei der Arbeit gegen jegliche Form von Ausbeutung zu wehren und unter menschenwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Die Gesetzgebung steht also vor der Aufgabe, die Schutz- und Mitwirkungsrechte bei der Arbeit zu verbessern und den Unternehmen Bedingungen zu stellen, die die Menschenwürde auch von jungen Menschen bei der Arbeit gewährleisten. Darüber hinaus müssen für junge Menschen jenseits der profitorientierten Unternehmen mehr legale Gelegenheiten geschaffen werden, in denen sie eine für sie interessante und vorteilhafte Arbeit ausüben und ein angemessenes Einkommen erwerben können.

Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken, weg von Verboten, hin zur Regulierung der Arbeitsbedingungen. Da wirtschaftliche Ausbeutung zu den Grundelementen der kapitalistischen Ökonomie gehört, ist es dringend notwendig, gerade für und mit jungen Menschen eine soziale und solidarische Ökonomie auf den Weg zu bringen, in der nicht der Profit, sondern das Wohlergehen der Menschen ausschlaggebend sind.

Links

Informationen über die aktuelle Lage in den USA und die darüber geführten Debatten:

https://www.washingtonpost.com/business/2023/02/11/child-labor-iowa

https://www.salon.com/2023/04/25/bills-enabling-child-labor-can-be-traced-to-this-one-conservative-lobbying-group_partner

https://www.democracynow.org/2023/4/19/biden_migrant_child_labor

https://www.randomlengthsnews.com/archives/2023/05/17/overturning-labor-laws/44774

Zur Diskussion in Kanada über die Gesetzgebung zur Beschäftigung von Kindern siehe den Artikel von Edward van Daalen:

https://www.mcgill.ca/humanrights/article/childs-right-work

Downloads

Der Artikel von Edward van Daalen in deutscher Übersetzung

Aktualisiert: 25.05.2023