"JA zur Arbeit in Würde! NEIN zu Ausbeutung!" IX. Treffen der Bewegung arbeitender Kinder Lateinamerikas und der Karibik (MOLACNATs)

Unter dem Motto „JA zur Arbeit in Würde! NEIN zu Ausbeutung!“ fand vom 01. bis 07. März in Ascunción (Paraguay) das das IX. kontinentale Treffen der Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher Lateinamerikas und der Karibik (MOLACNATs) statt. ProNATs war mit zwei Vertreter*innen anwesend.

„Die Arbeit öffnet uns neue Türen. Unsere Eltern sind Analphabeten, sie haben nicht für ihre Rechte gekämpft. WIR machen den Schritt zur Veränderung“, schließt Montserrat (14) selbstbewusst ihren Beitrag in einer der Meinungsrunden des Internationalen Forums zum Thema „Kinder und Arbeit“, das Anfang März 2015 in Asunción, der Hauptstadt von Paraguay, stattfand. Monserrat verkauft Kunsthandwerk aus bunter Wolle in Chiapas/Mexiko, ermöglicht sich damit die Schulbildung und vertritt in diesen Tagen ihre Organisation NNAT’sUC (Vereinigung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen aus San Cristóbal de Las Casas) beim IX. Treffen der Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher Lateinamerikas und der Karibik.

Die Bewegung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen Lateinamerikas und der Karibik (MOLACNATs) hatte in Kooperation mit CONNATs, der paraguayischen Koordinierungsgruppe, und dem unterstützenden Verein Callescuela im Rahmen des Treffens zu einer zweitägigen Veranstaltung in der Iberoamerikanischen Universität eingeladen, um mit der Öffentlichkeit den Wandel der kulturell geprägten Konzepte „Arbeit und Kindheit“ zu diskutieren. Betzandra (15) aus Venezuela, Sprecherin von MOLACNATs, stellt für die rund 200 Anwesenden in der ersten Podiumsrunde klar: „Wenn es um uns geht, wollen wir auch das Wort haben!“

Neben den Bewegungen der arbeitenden Kinder und Jugendlichen aus Argentinien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Peru und Venezuela regten auch erwachsene Expert*innen die kritische Auseinandersetzung durch Vorträge oder Kommentare an. So differenzierte die Berichterstatterin zu Kinderrechten bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, Rosa María Ortiz: „Dass Kinder arbeiten ist an sich kein Problem. Man muss jedoch genau die Bedingungen und Folgen analysieren. Die Ausbeutung von Kindern gehört dagegen fraglos abgeschafft.“ 

Die langjährigen Unterstützer der Bewegungen Dr. Alejandro Cussiánovich (Peru), Prof. Giangi Schibotto (Italien/Kolumbien) und Prof. Dr. Manfred Liebel (Deutschland/Nicaragua) lenkten den Blickwinkel auf den noch immer vorherrschenden kolonialen Anspruch, zu wissen, was richtig und gut für alle Kinder sei, auf Lücken in der Berichterstattung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie auf die Bedeutung der Thematik für den gesellschaftlichen Wandel. Denn die Diskussion über die Verbindung von Kindheit und Arbeit ist noch nicht „verdaut“, so Cussiánovich, und ihr Potenzial liege darin, dass sie nicht nur soziale, sondern auch wirtschaftliche und politische Entwicklungen beeinflusse.

So löste gerade das neue bolivianische Kinder- und Jugendgesetz, das unter Mitwirkung der Union der arbeitenden Kinder und Jugendlichen Boliviens (UNATSBO) entstanden war und auch explizit die Rechte von Kindern ab 10 Jahren bei wirtschaftlichen Tätigkeiten berücksichtigt, auf internationaler Ebene wieder viele kontroverse Debatten aus. Liebel wies darauf hin, dass hier erstmals der vom globalen Norden geprägte und negativ belegte Begriff „trabajo infantil“ („Kinderarbeit“) vermieden werde, stattdessen sei die Rede von „wirtschaftlichen Tätigkeiten der Kinder“ und es werde ausdrücklich auf die Arbeitsformen von Kindern in indigenen Communities eingegangen. Auch ein bewusster Sprachgebrauch fördere Unabhängigkeit und Wandel.

MOLACNATs begrüßte ausdrücklich die Entwicklungen in Bolivien und gab dem bolivianischen Botschafter in Paraguay zur Eröffnung der Tagung das Wort. Trotzdem sah die Bewegung in der Gesetzesgebung weiterhin Unklarheiten und Lücken und hatte zur Diskussion den bolivianischen Parlamentsabgeordneten Javier Zavaleta eingeladen. Thema war auch die Stellungnahme einer Expertenkommission der ILO zum neuen Gesetz.

In einer Videokonferenz wurde ein Vertreter des ILO-Regionalbüros für Lateinamerika aus Lima zugeschaltet. Trotz vieler kritischer Fragen und Anmerkungen der anwesenden arbeitenden Kinder bekräftigte der Gast erneut, jegliche Arbeit von Kindern abzulehnen, und bezeichnete das bolivianische Gesetz als „Rückschritt“. Der UNATSBO-Delegierte bleibt dennoch zuversichtlich und ermutigt seine Mitstreiter*innen: „Wir werden schon sehen, wer die wirklichen Expert*innen sind: wir sprechen von unseren Erfahrungen als arbeitende Kinder, die ILO-Kommission spricht vom Schreibtisch aus.“

Viele motivierende Beiträge von sozialen Erwachsenenbewegungen wie Bauernorganisationen oder Gewerkschaften zeigten hingegen, welch großes Ausmaß an Solidarität und Einheit die Organisation arbeitender Kinder und Jugendlicher mit ihrem Engagement in Paraguay über die Jahre gewonnen hat. „La Lucha por la Tierra“ – „Der Kampf um Land“ hat eine lange Geschichte in einem Staat, in dem heute wenige Großgrundbesitzer und multinationale Konzerne 90% des Landes ausbeuten. Francisco und Norma von CONNATs, die sich 2012 dem Kampf der Bauern um Land angeschlossen hat, erklären dem Publikum das Motto der Organisation „Ohne Land weder Leben noch Arbeit – NEIN zum Verkauf von Gemeingut!“ Ihre Familien seien u.a. aufgrund des schädlichen Sojaanbaus der Konzerne aus den ländlichen Gegenden vertrieben worden, und nun versuche die aktuelle Politik ihnen auch den Wohnraum in der Stadt wegzunehmen. Jeanpierre (17) blickt auf die lange Geschichte seiner Bewegung MNNATSOP in Peru seit den 70er Jahren zurück und betont abschließend, wie wichtig es ist, Einheit und Bündnisse zu schaffen. Die Organisation mache den Wandel möglich, hin zu einer besseren Lebensqualität.

Und welche Rolle spielen „die Großen“ dabei? – fragte sich vielleicht auch die eine oder der andere aus dem Publikum. Die Kinder und Jugendlichen dankten in ihren Reden jedenfalls den zahlreichen „Colaboradores“ (= erwachsene Mitarbeiter*innen) aus vielen Ländern, sie in ihrem Kampf bisher unterstützt zu haben. Aber im Raum blieb für alle stehen: Die wichtigste Aufgabe der Erwachsenen ist das Zuhören und die Meinungen der jungen Menschen bei sie betreffenden Entscheidungen zu berücksichtigen. Montserrat weiß aus Erfahrung: „Einem allein schenkt keiner Aufmerksamkeit. Wenn wir uns organisieren, sind wir stärker. Auf die Körpergröße darf es dabei nicht ankommen!“

In diesem Sinne bitten die Kinder zum Ende der Veranstaltung noch einmal um besondere Aufmerksamkeit, damit kein einziges Wort verloren geht, wenn sie veranschaulichen, was es für sie bedeutet zu arbeiten und sich zu organisieren: „Ich bin Areli, Delegierte von CONNATs, der Koordination der Organisation arbeitender Kinder und Jugendlicher Paraguays. Jetzt werden wir ein Gedicht vortragen, geschaffen von allen [anwesenden] NATs. Wir haben uns zusammengesetzt, um uns über alles, was mit uns passiert, auszutauschen. Und wir hoffen, dass es Euch gefällt. Hört bitte ganz aufmerksam zu, damit ihr verstehen könnt. Danke.“

Das Gedicht „Aus dem Fenster meiner Arbeit…“ mit deutscher Übersetzung

Aus dem Fenster meiner Arbeit sehe ich,
Aus dem Fenster meiner Arbeit sehe ich eine Zukunft,
nicht nur meine, sondern meiner Leute,
eine Einheit/Verbundenheit, die sich in ein Zeichen der Hoffnung verwandelt.
Ich sehe Miteinander, ich sehe eine große Brüderlichkeit.
Jeden Tag lehne ich mich aus dem Fenster meiner Arbeit
Und sehe eine zweite Familie, die mir zuhört, die mich begleitet, die dich mit großer Freude erfüllt.
Diese zweite Familie ist die Organisation, die mit dem Verlauf der Zeit gewachsen ist.
Ich sehe Zufriedenheit, Sehnsucht und viel Mut, um eine Arbeit auszuführen, die uns gefällt.
Ah, so viele schöne Dinge sehe ich aus dem Fenster meiner Arbeit.
Die Schuhputzer-Kiste, die mich darstellt,
Und sie ist mein Werkzeug für den Kampf.
Und ich sehe und bewundere eine freie Welt,
Ein Gefühl der Freude, die meine Familie ist.
Ich sehe etwas Einzigartiges: kämpfen, kämpfen, kämpfen als NATs, und als Bewegung!
Wisst ihr, wisst ihr, was das ist, was ich aus dem Fenster meiner Arbeit sehe?
Ich sehe mich, ohne Arbeit wäre ich nicht die, die ich bin!
Ich sehe Stolz, Wert, Begeisterung, Beispiel, Protagonismus, ansteckenden Protagonismus, Verständnis, Wissen.
Es gibt viele Menschen, die mir sagen wollen, was ich aus dem Fenster meiner Arbeit sehe.
Aber das Fenster meiner Arbeit ist meins!
Ich öffne es und schließe es, wann ICH will!
Aus dem Fenster sehe ich Unterstützer, die uns viele Dinge lehren, viele fröhliche Kinder,
und jemanden, der nicht wegen seiner Körpergröße groß ist, sondern aufgrund dessen, was er tut.
Ein Leben in Frieden und Sicherheit.
Ich sehe auch Demut und Bescheidenheit, die Anstrengungen um zu überleben,
aber auch Anerkennung und Zuversicht all meiner Compañeras und Compañeros.
All das und noch viel mehr sehe ich aus dem Fenster meiner Arbeit,
und alles, was ich gesehen habe, gebe ich an euch weiter.

[Tosender Applaus]

Auf dem anschließenden internen Treffen der Kinder-Delegierten aus den neun lateinamerikanischen Ländern wurde darüber diskutiert, wie die Umsetzung des neuen Kinder- und Jugendgesetzes in Bolivien unterstützt und die eigene Organisation gestärkt werden kann. Besondere Aufmerksamkeit galt der Diskriminierung und Unterdrückung von Mädchen. Auf einer Solidaritätsveranstaltung im „Museum der Erinnerungen“ (Museo de las Memorias) wurde anhand von konkreten, teils selbst erlebten Beispielen der wachsenden Repression von Kindern und Jugendlichen in den Armenvierteln und auf dem Land – namentlich in Mexiko, Argentinien und Paraguay – gedacht und wie ihr begegnet werden kann. Das Treffen endete mit einer bewegenden öffentlichen Zeremonie am Busbahnhof von Asunción, an der sich auch die dort arbeitenden Schuhputzer-Jungen beteiligten. Die Ergebnisse des Treffens wurden in einer Abschlusserklärung zusammengefasst.

Weiterführende Seiten

Abschlusserklärung des Treffens

Aktualisiert: 21.04.2015

Das vorgetragene Gedicht