Wirtschaftliche und Arbeitsrechte von Kindern

Der Zugang zu wirtschaftlichen und Arbeitsrechten wird Kindern bisher weitgehend vorenthalten. Dadurch werden arbeitende Kinder in einer rechtlichen Grauzone festgehalten und der ihnen nach internationalem Recht zustehende Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung wird erheblich erschwert. Das von den Bewegungen arbeitender Kinder geforderte Recht, in Würde zu arbeiten, würde dazu beitragen, die soziale Position arbeitender Kinder zu stärken und damit auch ihren Schutz vor Ausbeutung verstärken.

Wirtschaftliche und Arbeitsrechte unterscheiden und ergänzen sich

Im Völkerrecht gelten als wirtschaftliche Rechte diejenigen, die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) kodifiziert sind, der 1966 von der UN-Generalversammlung angenommen wurde und 1976 in Kraft trat. Sie stellen eine rechtsverbindliche Weiterführung der Rechte dar, die erstmals in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 formuliert worden waren. Als internationale Arbeitsrechte gelten die in den Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegten Rechte. Die wichtigsten dieser Übereinkommen sind in der Erklärung der ILO über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit zusammengefasst. In dieser Erklärung werden folgende „Grundprinzipien“ oder „Kernarbeitsnormen“ hervorgehoben:

  • die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen;
  • die Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit;
  • die effektive Abschaffung der Kinderarbeit;
  • die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

Wirtschaftliche Rechte und Arbeitsrechte unterscheiden sich in dem Sinne, dass wirtschaftliche Rechte für alle Menschen bestimmt sind, während Arbeitsrechte nur für diejenigen gelten, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden. Wie alle Menschenrechte basieren auch die wirtschaftlichen Rechte auf den Prinzipien der Freiheit und Würde. Sie können von anderen Menschenrechten unterschieden werden, sind aber nicht losgelöst von ihnen zu sehen. Zu den im IPWSKR verankerten sozialen Rechten gehören beispielsweise die Rechte auf Nahrung, Gesundheit, Wohnen, soziale Sicherheit und Bildung. Ohne die Anerkennung und Verwirklichung dieser Rechte wäre weder Arbeit noch Leben als Ganzes in Freiheit und Würde möglich. Auf der anderen Seite tragen wirtschaftliche und Arbeitsrechte auch dazu bei, soziale Rechte zu verwirklichen.

Wirtschaftliche Rechte sowie soziale und kulturelle Rechte werden allgemein als die zweite Generation der Menschenrechte bezeichnet, im Vergleich zu bürgerlichen und politischen Rechten, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankert sind und als die erste Generation der Menschenrechte gelten. Während bürgerliche und politische Rechte darauf abzielen, den Einzelnen davor zu schützen, dass seine Freiheit und persönliche Integrität durch staatliche Behörden eingeschränkt werden, zielen wirtschaftliche und soziale Rechte darauf ab, Maßnahmen zu ergreifen oder eigene Maßnahmen zur Verbesserung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen und derjenigen anderer im Sinne der Würde des Menschen zu erleichtern. Sie wurden eingeführt, weil anerkannt wurde, dass ein Leben in Würde nicht nur Garantien der Freiheit, sondern auch der Gewährleistung bestimmter Lebens- und Arbeitsbedingungen bedarf und dass die individuellen Freiheiten selbst einen sozialen Rahmen erfordern. Dies zeigt, dass die Menschenrechte nicht vom Himmel fallen, sondern das Ergebnis von Bestrebungen und Kämpfen um bessere Lebensgrundlagen sind. Dies gilt auch für die Arbeitsrechte, die sich aus dem Kampf der Arbeiter*innenorganisationen für bessere Arbeitsbedingungen ergeben haben (weshalb sie auch als „Arbeitnehmer*innenrechte“ bezeichnet werden).

Hinsichtlich der wirtschaftlichen und Arbeitsrechte ist daran zu erinnern, dass sie sich auf eine Wirtschaft und auf Beschäftigungsverhältnisse beziehen, die mit der kapitalistischen Produktionsweise entstanden sind. Sie zielen auf Regelungen, die innerhalb dieser Produktionsweise gelten, enthalten aber keine darüberhinausgehende Vision. Dies stellt eine Herausforderung für die Weiterentwicklung der Menschenrechte, insbesondere der sozialen und kulturellen Rechte, sowie der neuen Generation von ökologischen oder Umweltrechten, einschließlich der Rechte künftiger Generationen dar. Dies hat auch erhebliche Konsequenzen für die Frage, inwieweit wirtschaftliche und Arbeitsrechte für Kinder gelten oder gelten sollen.

Gelten wirtschaftliche und Arbeitsrechte auch für Kinder?

Betrachtet man die im Völkerrecht verankerten wirtschaftlichen und Arbeitsrechte, so sind die widersprüchlichen Aussagen zu Kindern leicht zu erkennen. Nach dem Wortlaut des IPWSKR gelten die wirtschaftlichen Rechte für „jeden“ und damit für alle Menschen unabhängig von ihrem Alter. Die Grundprinzipien der ILO enthalten ebenfalls keine Altersangaben über die „Vereinigungsfreiheit“ und die „Beseitigung von Diskriminierung bei Beschäftigung und Beruf“, so dass sie für alle Arbeitenden unabhängig von ihrem Alter gelten müssten. Dennoch enthalten sowohl der IPWSKR als auch die ILO-Prinzipien jeweils eine Bestimmung, die mit dieser Logik unvereinbar ist.

In Bezug auf Kinder legt der IPWSKR Mindestalter als Voraussetzung für die rechtliche Ausübung einer bezahlten Beschäftigung fest (allerdings ohne Altersangabe). Wenn in den ILO-Prinzipien die „wirksame Abschaffung der Kinderarbeit“ als Grundrecht genannt wird, kann dies logischerweise nur als ein Recht von Erwachsenen verstanden werden, da Kinder zwar davon betroffen sind, aber nicht als eigenständiges Subjekt dieses Rechts angesehen werden. Für die Grundprinzipien ist das ILO-Übereinkommen 138 (aus dem Jahr 1973) maßgebend, in dem Mindestaltersanforderungen für die Beschäftigung festgelegt werden.

Diese Bestimmungen sollen zwar den besonderen Bedürfnissen von Kindern gerecht werden und sie schützen, stellen aber eine schwerwiegende Einschränkung der wirtschaftlichen Rechte dar und werfen die Frage auf, ob es sich um eine altersspezifische Form der Diskriminierung handelt und ob die beanspruchte Funktion des Kinderschutzes implizit zunichtegemacht wird. So ist es beispielsweise für arbeitende Kinder unter dem Mindestalter nicht möglich, sich an ihrem Arbeitsplatz auf Rechte zu berufen. Die Festlegung von Mindestaltern steht damit auch im Widerspruch zu der Bestimmung, „besondere Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für alle Kinder und Jugendlichen“ (IPWSKR) zu gewährleisten, da diese Maßnahmen bestenfalls für arbeitende Kinder oberhalb des Mindestalters greifen. Ein ähnlicher logischer Widerspruch findet sich in Art. 32 der UN-Kinderrechtskonvention, der Kinder vor wirtschaftlicher Ausbeutung schützen soll.

Im Hinblick auf die wirtschaftlichen und Arbeitsrechte stellt sich die Frage, ob neben dem Recht auf Schutz vor Ausbeutung und gefährlicher Arbeit Kindern auch andere Rechte gewährt werden, die für Erwachsene als wesentlich gelten. Dies gilt insbesondere für die folgenden Rechte, die sich in verschiedenen Formulierungen sowohl im IPWSKR als auch in einigen Übereinkommen der ILO und ihren Grundprinzipien finden lassen:

  • das Recht auf Arbeit und auf freie Wahl der Beschäftigung;
  • das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen;
  • das Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit;
  • das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, ohne jegliche Diskriminierung;
  • das Recht, zum Schutz der eigenen Interessen Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, einschließlich des Rechts auf Kollektivverhandlungen;
  • das Recht auf Erholung und Freizeit, einschließlich einer angemessenen Begrenzung der Arbeitszeiten und periodischer bezahlter Feiertage.

Nach Auffassung der ILO sind diese Rechte für Kinder nicht geeignet oder schaden ihnen sogar, wenn sie auf sie angewendet würden. Diese Meinung basiert auf einem besonderen Kindheitsmuster, das mit der bürgerlichen Gesellschaft in Europa entstanden ist und seit der Kolonialepoche zu globalisieren versucht wird. Nach diesem Muster soll das Leben der Kinder völlig „arbeitsfrei“ sein und die Kinderarbeit durch verpflichtenden Schulbesuch ersetzt werden („Schule ist der beste Arbeitsplatz“). Kinder, die (noch) nicht zur Schule gehen, werden oft als „Kinder ohne Kindheit“ bedauert und sogar diskriminiert. Dem widerspricht die Tatsache, dass Millionen von Kindern trotz gesetzlicher Verbote weiterhin arbeiten. Die Gründe und Motive sind so vielfältig wie die Bedingungen, unter denen diese Arbeit durchgeführt wird.

Die ILO verkennt die Realität der arbeitenden Kinder

Die Tatsache, dass Arbeit nach wie vor und vielleicht sogar zunehmend zum Leben vieler Kinder gehört und Teil ihrer Kindheit ist (und meist von Kindern bejaht wird), macht es notwendig, auch Kindern alle wirtschaftlichen und Arbeitsrechte zu gewähren, die für Erwachsene gelten. Dies würde im Gegensatz zu Arbeitsverboten dazu beitragen, arbeitende Kinder vor Ausbeutung zu schützen, ihre Menschenwürde zu wahren und ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Dies würde ebenso erleichtern, die in der Kinderrechtskonvention verankerten sozialen Rechte, wie das Recht auf Gesundheit (Art. 24), soziale Sicherheit (Art. 26), einen angemessenen Lebensstandard (Art. 27), Bildung (Art, 28 und 29) oder Erholung und Freizeit (Art. 31), zu verwirklichen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Recht, unabhängige Vereinigungen zu gründen und gemeinsame Interessen organisiert zu vertreten, d.h. Rechte, die zu den wirtschaftlichen und Arbeitsrechten gerechnet werden, ebenfalls in der Kinderrechtskonvention verankert sind (Art. 15). Obwohl diese Rechte nicht als wirtschaftliche oder Arbeitsrechte formuliert sind, haben sie doch diese Bedeutung für Kinder, die arbeiten oder arbeiten wollen. Arbeitende Kinder in vielen Regionen des Globalen Südens nutzen diese Rechte seit langem, indem sie eigene soziale Bewegungen und Organisationen gründen und auf ihrer Unabhängigkeit bestehen.

Die Weigerung, Kindern volle wirtschaftliche und Arbeitsrechte einzuräumen, wird besonders hartnäckig von den Gewerkschaften und der Internationalen Arbeitsorganisation vertreten. Sie kommt vor allem in den ILO-Übereinkommen gegen Kinderarbeit und den entsprechenden Diskursen und Maßnahmen zum Ausdruck, die alle Formen von Kinderarbeit vollständig zu beseitigen trachten. Dies zeigt sich auch in der hartnäckigen Weigerung, arbeitende Kinder und ihre Organisationen als Partner anzuerkennen und ihnen zu ermöglichen, an Entscheidungen mitzuwirken, die ihre Situation als arbeitende Kinder betreffen.

Die ILO-Übereinkommen 138 und 182

Eines der Übereinkommen, das die ILO als besonders wichtigen Teil ihrer Prinzipien betrachtet, ist das ILO-Übereinkommen 138. Es bezieht sich weder auf Menschenrechte im Allgemeinen noch auf Kinderrechte im Besonderen, sondern definiert Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Kinder unterhalb festgelegter Altersgrenzen (15 Jahre, bei schweren Arbeiten 18 Jahre) erwerbstätig werden. Obwohl die Arbeitsbedingungen für Kinder sehr verschieden sind, geht das Übereinkommen davon aus, dass Arbeit für Kinder generell schädlich ist und daher mit allen rechtlichen Mitteln verhindert werden soll. Dabei wird – wie in den zahlreichen früheren Übereinkommen gegen Kinderarbeit – offensichtlich, dass ihr Hauptzweck darin besteht, die von Kindern befürchtete Lohnkonkurrenz abzuwehren. Während humanitäre Motive angeführt werden, ist bisher nicht nachgewiesen, dass dieses Übereinkommen wesentlich zur Verbesserung der Situation arbeitender Kinder beigetragen hat. Im Gegenteil haben verschiedene Studien gezeigt, dass der Ausschluss von Kindern von der Arbeit allein aufgrund ihres geringen Alters kontraproduktive Auswirkungen hat und die Situation vieler arbeitender Kinder einschließlich ihrer Familien tatsächlich verschlechtert hat.

In Ergänzung zu diesem Übereinkommen hat die ILO im Jahr 1999 das ILO-Übereinkommen 182 beschlossen. Die darin vorgenommene Unterscheidung von akzeptablen und „schlimmsten“ Formen der Kinderarbeit wurde von vielen Kinderbewegungen im Prinzip begrüßt. Sie wenden sich aber dagegen, dass Kinderhandel, Rekrutierung als Soldaten, Pornografie und Prostitution darin als Kinderarbeit bezeichnet werden. Dagegen fordern sie, diese als Verbrechen an Kindern mit bereits existierenden Gesetzen zu bekämpfen. Außerdem kritisieren sie, dass den Kindern in den ILO-Übereinkommen keinerlei Partizipationsrechte zugestanden werden. In vielen Fällen wurden sie sogar als Rechtfertigung für die Vertreibung von arbeitenden Kindern von ihrem Arbeitsplatz herangezogen, selbst dann, wenn sie dort mit einem Elternteil zusammen waren.

Ein „Recht, in Würde zu arbeiten“, statt „Abschaffung der Kinderarbeit“

Obwohl die Schwierigkeiten auf diesem Gebiet seit Jahren in Forschungen belegt sind, haben bisher weder die ILO noch Regierungen eine ganzheitliche Bewertung des vermeintlichen Kinderschutzes durch Maßnahmen und Programme zur Beseitigung der Kinderarbeit vorgenommen. Zwar ist in den seit 2002 veröffentlichten Global Reports der ILO von einem Rückgang der Kinderarbeit weltweit die Rede, aber sie stellen auch fest, dass sich die Bedingungen, unter denen Kinder arbeiten, in vielen Bereichen verschlechtert haben. Von Bericht zu Bericht wird betont, dass die geplante vollständige Abschaffung der Kinderarbeit bis 2025 nur erreicht werden kann, wenn sich das Tempo erheblich beschleunigt. In diesem Zusammenhang stellt die Beteiligung der Organisationen arbeitender Kinder nicht nur ein Recht dar, das in der Kinderrechtskonvention verankert ist. Sie wäre auch ein geeigneter und naheliegender Weg, über den Kinder ihre Probleme darlegen und Rechtsverletzungen benennen sowie die politisch Verantwortlichen Informationen über tatsächliche Ergebnisse aktueller Politiken und Praktiken erhalten könnten.

Um besser gegen wirtschaftliche Ausbeutung geschützt zu sein, fordern die meisten Bewegungen arbeitender Kinder seit nunmehr 30 Jahren das „Recht, in Würde zu arbeiten“. Dieses Recht ginge als subjektives Recht der Kinder über Artikel 32 der Kinderrechtskonvention hinaus. Aus Sicht der Organisationen arbeitender Kinder bedeutet dieses Recht weder, wie oft missverstanden wird, dass jede Person das Recht hat, die Arbeit eines Kindes zu verlangen, noch, dass den Kindern eine Beschäftigung garantiert werden muss. Es wird als das Recht eines Kindes verstanden, frei zu entscheiden, ob, wo, wie und für wie lange es arbeitet. Es geht auch über die Beschäftigung unter dem Regime und in Abhängigkeit von einem*einer Arbeitgeber*in in einer kapitalistischen Wirtschaft hinaus sowie über alle Arten von wirtschaftlichen Aktivitäten außerhalb des „offiziellen“ Arbeitsmarktes (d.h. in der informellen Wirtschaft oder in privaten Haushalten), zu deren Durchführung Kinder von Personen verpflichtet werden, die Macht über sie haben. Der Anspruch besteht darin, den Entscheidungsspielraum der Kinder zu erweitern und ihren sozialen Status als handelnde Subjekte zu stärken.

Aktualisiert: 14.12.2020