Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen

Seit über 30 Jahren gibt es die UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Die Bewegungen arbeitender Kinder berufen sich auf diese Rechte und machen zugleich deutlich, dass die Konvention und ihre Auslegungen den Forderungen und Lebenssituationen vieler Kinder noch nicht gerecht werden – sie wollen an der Weiterentwicklung der Konvention und weiterer internationaler Dokumente, die sie betreffen, beteiligt sein.

Entstehung und Inhalt der Kinderrechtskonvention

Die Debatte um die Kinderrechte kreist heute im Wesentlichen um die Internationale Konvention über die Rechte des Kindes. Ziel dieser Konvention war, dass Kinder spezielle Grundrechte haben sollten, auf die sie sich berufen können. Nach zehnjähriger Vorarbeit, an der zahlreiche Regierungen und schließlich auch NGOs beteiligt waren, wurde die UN‑Kinderrechtskonvention (KRK) schließlich am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig angenommen. Am 2. September 1990 trat die Konvention als internationales Recht in Kraft und wurde bis heute von allen Staaten der Welt mit Ausnahme der USA ratifiziert. Bis heute ist allerdings ungeklärt, wie Kinder selbst ihre Rechte konkret durchsetzen können.

Die Konvention formuliert drei Arten von Rechten, die sich folgenden Bereichen zuordnen lassen: protection, provision, participation (zu Deutsch: Schutz, Versorgung, Beteiligung). Im ersten Bereich garantiert die Konvention den Kindern – laut Konvention allen Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres – Schutz vor Misshandlung, vor ökonomischer und sexueller Ausbeutung sowie vor Diskriminierung aufgrund von „Rasse“, Geschlecht oder Minderheitenstatus. Im zweiten Bereich attestiert sie den Kindern das Recht auf ungestörte frühkindliche Entwicklung, Gesundheitsfürsorge, auf (Grund-)Schulausbildung und generell auf menschenwürdige Lebensbedingungen. Im dritten Bereich gewährt sie den Kindern das Recht auf einen eigenen Namen, auf Staatsbürgerschaft, auf freie Information und Meinungsäußerung, auf Gehör bei sie betreffenden Entscheidungen und schließlich auch das Recht, sich friedlich zu versammeln und eigene Assoziationen zu bilden.

Da die Kinderrechtskonvention als Teil der Menschenrechte zu sehen ist, gelten auch hier die drei Kernprinzipien der Universalität, Unteilbarkeit und Interdependenz. Mit anderen Worten, die Kinderrechte gelten für alle Kinder weltweit, kein Recht kann einzeln herausgegriffen werden bzw. ist einzeln anwendbar und drittens bedingen sie sich gegenseitig und können nur als Ganzes vollständig verwirklicht werden.

Bedeutung und Nutzen der Kinderrechtskonvention

In dem Kontext der Kinderbewegungen stellt sich die Frage, welche Rolle die Konvention den Kindern bei der Realisierung ihrer Rechte und der Erlangung eines menschenwürdigen Lebens zubilligt. Wenn ein Staat der KRK zugestimmt hat, ist dieser dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Verwirklichung der Kinderrechte zu ergreifen, also nationale Gesetze und Regelungen im Sinne der KRK zu ändern. Er muss alle 5 Jahre durch einen Bericht an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hierüber Rechenschaft ablegen. Auch die Zivilgesellschaft wird aufgefordert, einen „Schattenbericht“ beim Ausschuss einzureichen. Dieser Ausschuss in Genf besteht aus 18 Fachpersonen, die von Saaten nominiert und von der UN-Generalversammlung gewählt wurden. Er ist zwar befugt, nach Analyse der Berichte Stellungnahmen abzugeben, auf Mängel hinzuweisen und Empfehlungen auszusprechen sowie einen Staat wegen Kinderrechtsverletzungen beziehungsweise fehlenden Schutz vor Kinderrechtsverletzungen zu rügen. Er darf allerdings keine Sanktionen erteilen, sondern versucht, öffentlich Druck aufzubauen.

Aufgrund der ungenauen und vagen Formulierungen in der KRK haben die einzelnen Staaten jedoch sehr viel Handlungs- und Ermessensspielraum, was die Umsetzung dieser Konvention anbelangt. So steht bereits in Art. 1 der KRK dass jeder Staat selber festlegt, bis zu welchem Alter seine Bürger*innen als Kinder („minderjährig“) im Sinne der Konvention gelten. In den deutschen Gesetzen heißt es zum Beispiel, dass Menschen mit 18 Jahren volljährig werden. Des Weiteren sind die in der Konvention enthaltenen Partizipationsrechte entweder so vage und allgemein formuliert oder werden soweit von Bedingungen abhängig gemacht, dass letztlich wieder die Erwachsenen „im wohlverstandenen Interesse des Kindes“ das letzte Wort behalten. Nach der die Konvention bestimmenden Logik erscheint das Kind in erster Linie als schutz- und hilfsbedürftiges Wesen, dessen sich die Gesellschaft der Erwachsenen annehmen soll. Die willkürliche Auslegung durch die herrschenden Instanzen legt folglich nahe, dass das formal zugestandene Recht letztlich gegenstandslos werden kann.

Seit 2014 gibt es ein „Individualbeschwerderecht“. Wenn Staaten ein entsprechendes Zusatzprotokoll ratifiziert haben, können sich einzelne Kinder (oder ihre Vertreter*innen) aus diesen Staaten beim UN-Kinderrechtsausschuss gegen die Verletzung ihrer Rechte klagen. Sie müssen allerdings vorher den nationalen Rechtsweg ohne Erfolg durchlaufen haben, was ein äußerst komplizierter und langwieriger Prozess ist. Der Ausschuss kann außerdem Fälle besonders schwerer Kinderrechtsverletzungen ohne einen direkt Klagenden untersuchen. Aber auch hier bleibt das oben erwähnte Dilemma: Der Ausschuss kann Staaten bloß rügen, er hat keine weiteren Sanktionsmöglichkeiten. Die bisher beim Ausschuss eingereichten ca. 40 Beschwerden (Stand: 2020) stammen überwiegend aus europäischen und einigen lateinamerikanischen Ländern. Unabhängig von diesem Individualbeschwerderecht haben sich in den letzten Jahren Kinder an den UN-Ausschuss gewandt, um sich gegen die Verletzung ihrer Rechte zu wehren. Zwei Beispiele: Die Kinderbewegung MOLACNATS hat sich 2017 beim Ausschuss über mangelnde Partizipationsmöglichkeiten bei ILO-Konferenzen beschwert. Ebenso hat sich 2019 die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg mit 15 weiteren Kindern beim Ausschuss über unzureichendes Vorgehen mehrerer Staaten gegen die drohende Klimakatastrophe beschwert. Auf diese Weise konnten die Kinder zumindest eine gewisse Öffentlichkeit erreichen.

Die Perspektive der arbeitenden Kinder auf die Kinderrechtskonvention

Der Terminus „Kinderarbeit“ kommt in der KRK nicht vor. Artikel 32 KRK gewährt aber Kindern Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und gefährlicher Arbeit. Kinder sollen außerdem „nicht zu Arbeiten herangezogen werden“, die die Erziehung („education“ im englischen Wortlaut), die Gesundheit oder die körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung des Kindes gefährden. Um dies zu garantieren, sollen Staaten laut KRK ein oder mehrere Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit festlegen und Regelungen der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen vorsehen. Wohlgemerkt wird Staaten mit diesen Formulierungen offengehalten, unterschiedliche Mindestalter für verschiedene Formen von Arbeit einzurichten. In den Artikeln 33, 34, 35 und 38 KRK werden weitere Tätigkeitsfelder von Kindern behandelt, vor denen Kinder geschützt werden sollen, wie Drogenhandel, Prostitution oder Soldatentum. Offensichtlich enthalten diese Formulierungen viel Raum für Interpretation und Auslegung. Daher ist den arbeitenden Kindern wichtig, dass ihre Perspektiven bei Schutzkonzepten Beachtung finden. Da die Beteiligungsrechte der KRK mit diesen Rechten als interdependent zu betrachten sind, haben sie, in der Theorie zumindest, auch ein Recht hierauf.

Um sich nicht der Willkür der jeweiligen Länder auszusetzen, beanspruchen die Organisationen der arbeitenden Kinder ausdrücklich, Kinder nicht nur als Nutznießer*innen von besonderen Rechten zu verstehen, die Erwachsene zu ihren Gunsten definiert haben, sondern als aktive Wesen mit eigenen Sichtweisen, Interessen, Fähigkeiten und Urteilen. Außerdem berufen sich die Kinderbewegungen nicht nur auf ihre Rechte als Kinder, sondern legen auch den Finger auf bestimmte subjektfeindliche Merkmale der Gesellschaften, in denen sie leben, und zeigen Alternativen auf. Dabei greifen sie die Rechte auf, die einen Bezug zu ihrer Realität haben. Das heißt, sie fragen sehr konkret, welche Rechte ihnen nützlich sind und was getan wird, um sie praktisch werden zu lassen. Die Kinder wollen sich nicht als Alibi instrumentalisieren lassen.

Die Bewegungen sind sich generell darin einig, dass die Kinder nicht nur das Recht, sondern auch die Fähigkeit besitzen, als soziale Subjekte zu agieren und eine Protagonist*innenrolle in der Gesellschaft wahrzunehmen. Spätestens seit der Verabschiedung der KRK berufen sich alle Bewegungen mit unterschiedlichen Akzentuierungen auf die dort verankerten Kinderrechte. Sie reklamieren aber auch Rechte, die in der Konvention nicht enthalten sind, oder stellen infrage, wie UNICEF, Regierungen und NGOs die Konvention auslegen und mit ihr in der Praxis umgehen. Die Berufung auf die Kinderrechte geht in einigen Kinderbewegungen inzwischen so weit, dass sie auf Mitsprache bei der Ausarbeitung von Gesetzen pochen und mitunter sogar in die Gesetzgebung eingreifen.

Die Forderung der arbeitenden Kinder nach mehr Partizipation erstreckt sich auch auf die wirtschaftliche Sphäre. Nicht alle Kinderbewegungen reklamieren das „Recht zu arbeiten“, aber sie bestehen auf die Anerkennung, ihrer wirtschaftlichen Rolle in der Gesellschaft und leiten hieraus einen erweiterten Anspruch auf politische Partizipation ab. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass sie im Grunde nur dann ernst genommen werden und ihre Rechte in Anspruch nehmen können, wenn ihre soziale Stellung durch eine wirtschaftliche bzw. nützliche Tätigkeit und unter Umständen ein eigenes Einkommen gestützt wird.

Zusammenfassend kann zur UN-Kinderrechtskonvention gesagt werden, dass sie den Kindern zwar das Recht auf eine menschenwürdige Gegenwart und eine selbstbestimmte soziale Identität verspricht. Sie bleibt jedoch ohne nennenswerte Folgen, solange die Kinder gesellschaftlich weiterhin vorwiegend als Opfer und defizitäre, lediglich zu beschützende Wesen betrachtet werden. Solange den Kindern die Fähigkeit bestritten wird, ihre Interessen selbst zu erkennen und zu vertreten, bleibt die Bestimmung des besten Interesses des Kindes – des so genannten „Kindeswohls“ („best interests of the child“) – dem Belieben der Erwachsenen überlassen. Außerdem bleibt die Frage ungeklärt, wie es um die Rechte künftiger Generationen steht.

Aktualisiert: 14.12.2020