ProNATs e.V. Kinderschutzstrategie

ProNATs ist der Meinung, dass eine Stärkung der gesellschaftlichen Stellung der Kinder unausweichlich zu ihrem Schutz beiträgt. Doch allein die ideelle Ausrichtung unseres Vereins ist noch keine Garantie für die stetige erfolgreiche Umsetzung der Kinderrechte, etwa in unseren Projekten und Aktivitäten. In unserer Kinderschutzstrategie werfen wir daher einen zusätzlichen Fokus auf die eigenen Organisationsstrukturen. Hier werden strategische Elemente, wie Prävention, Selbstverpflichtungen und Fallmanagement, in der Praxis ineinander verzahnt.

ProNATs e.V. Kinderschutzstrategie

Verabschiedet auf der Mitgliederversammlung am 03.12.2022

1. Einleitung

Laut UN-Kinderrechtskonvention ist ein Kind „jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“. Im Vergleich zu Erwachsenen befinden sich Kinder in einer gesellschaftlichen Position geringerer Macht. Dieses Machtungleichgewicht begünstigt ihre Abhängigkeit von Erwachsenen und macht sie in besonderem Maße empfänglich für vielfältige Formen der Gewalt. Auch in Einrichtungen oder bei Maßnahmen, die vorgeben, dem Schutz, der Förderung oder der Bildung von Kindern zu dienen, werden Kinderrechte regelmäßig verletzt.

ProNATs e.V. versteht sich als Verein zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. In Solidarität mit Kindern und Jugendlichen weltweit wollen wir Kinderrechte nicht nur achten, sondern auch Kinder in der Inanspruchnahme ihrer Rechte unterstützen und zu ihrer besseren Umsetzung beitragen. Kinderrechte umfassen auch Schutzrechte, die wir als interdependent zu Förder- und Beteiligungsrechten betrachten. Daher richtet sich unsere Inlands- und Auslandsarbeit an den Kinderrechten aus. Viele unserer Bildungsmaßnahmen und unserer Projektaktivitäten haben eine Stärkung der Handlungs- und Gestaltungskompetenzen bezüglich der Kinder- und Menschenrechte zum Ziel. Wir sind der Meinung, dass eine Stärkung der gesellschaftlichen Stellung der Kinder unausweichlich zu ihrem Schutz beiträgt. In dieser Kinderschutzstrategie werfen wir einen zusätzlichen Fokus auf die eigenen Organisationsstrukturen. Denn allein die ideelle Ausrichtung unseres Vereins ist noch keine Garantie für die stetige erfolgreiche Umsetzung der Kinderrechte. Stattdessen müssen weitere strategische Elemente in der Praxis ineinander verzahnt werden, wie Prävention, Selbstverpflichtungen und Beschwerdemanagement. ProNATs e.V. begreift sich dabei als lernende Organisation.

Definitionen von Gewalt

Bei den Definitionen von Gewalt gegen Kinder können folgende Formen unterschieden werden. Sie gehen häufig ineinander über oder sind miteinander verwoben:

  • Körperliche Gewalt (Schläge, Tritte, Verbrennungen, Schubsen, Schütteln, Ersticken etc.)
  • Emotionale Gewalt (Demütigung, Einschüchterung, Drohungen, Anschreien, Isolation, Mobbing, Cybermobbing, Stalking etc.)
  • Sexualisierte Gewalt (jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen dessen Willen vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit wissentlich nicht zustimmen kann.)
  • Vernachlässigung (Verweigerung der Erfüllung der Grundbedürfnisse des Kindes, Verweigerung medizinischer Versorgung, mangelnde Aufsicht etc.)
  • Ausbeutung (ausbeuterische Kinderarbeit, kommerzielle sexualisierte Gewalt, Kinderhandel)
  • Strukturelle und institutionelle Gewalt (Armut, Krieg, Konflikte, Flucht, die Nicht-Berücksichtigung von Kinderinteressen, z.B. im Straßenverkehr, in der medizinischen Versorgung, in der Politik und Gesetzgebung)

Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 umfasst den Schutz vor körperlicher und geistiger Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung (Art. 19), sexuellem „Missbrauch“ (Art. 34), Entführung und Kinderhandel (Art. 35), Ausbeutung (Art. 36), Folter und Todesstrafe (Art. 37), bei bewaffneten Konflikten (Art. 38). Ergänzt werden die Artikel der UN-Kinderrechtskonvention durch Fakultativprotokoll I zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und Fakultativprotokoll II zum Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornographie. Das 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz setzt verbindliche Standards in der direkten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und schreibt einen Ausbau von frühen Hilfen als Unterstützung für Familien vor. In Deutschland ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch (§1631 Abs. 2) festgeschrieben. Neben jeder Form von sogenannter „Züchtigung“ oder jede sogenannte „Ohrfeige“ umfasst dies auch „seelische Verletzungen“ und andere „entwürdigende Maßnahmen“. Zusätzlich ist der Schutz vor Gewalt in der Erziehung noch im Achten Buch Sozialgesetzbuch (§ 16 Abs. 1) und im Strafgesetzbuch (§ 174 – 184) verankert. Strukturelle und institutionelle Gewalt ist hingegen nicht so leicht rechtlich anzufechten. Häufig wird sie in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 2) angegangen. Auf Ursachen oder Folgen der vielen Gewaltformen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

2. Prävention

ProNATs e.V. verfolgt Standards in der Kommunikation und dem Personalmanagement. Wichtig ist uns, dass für ProNATs e.V. tätige Personen – neben ihrer thematischen Qualifikation – stets methodisch-didaktische Kompetenzen bezogen auf Kinderrechte und Antidiskriminierung (hier insbesondere bezogen auf Adultismus) aufweisen. Auch wenn die Standards keinen 100%-igen Schutz bieten, signalisiert ein offensiver Umgang mit der Thematik Kinderrechte und Kinderschutz die hohe Sensibilität des Vereins und wirkt abschreckend auf potentielle Täter*innen.

Für ProNATs e.V. tätige Personen, die in direktem Kontakt mit Kindern arbeiten werden, sind verpflichtet, dem Verein vorab ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen. Für das Tätigwerden ist es erforderlich, dass dieses keinerlei einschlägige Vorstrafen enthält. Das erweiterte Führungszeugnis wird im Drei-Jahres-Rhythmus aktualisiert.

Alle Personen, die für ProNATs e.V. tätig werden möchten, werden auf unsere Selbstverpflichtungen (Kodex) hingewiesen. Personen, die im Auftrag von ProNATs e.V. tatsächlich tätig werden, müssen ihren Willen, an der Umsetzung der Selbstverpflichtungen zu arbeiten, aktiv bekunden.

Selbstverpflichtungen (Kodex)

Wir wollen den Schutz und die Stärkung von Kindern anhand der nachfolgenden Standards als Qualitätsmerkmal in unserer In- und Auslandsarbeit etablieren. ProNATs e.V., seine Mitglieder sowie in seinem Auftrag tätige Personen verpflichten sich,

  1. Kinder in allen ihren Rechten zu stärken und vor jeglicher Art von Gewalt zu schützen;
  2. Kinder stets respekt- und würdevoll, gerecht und einfühlsam zu behandeln sowie ein Umfeld zu schaffen, das für Kinder und gefährdete Personen sicher ist und in dem die Einhaltung der Kinder- und Menschenrechte gewährleistet wird;
  3. sicherzustellen, dass jegliche Kommunikation und jeglicher Körperkontakt mit Kindern angemessen ist und niemals ihre physische und psychische Integrität verletzt;
  4. sensibel für Machtverhältnisse zu sein und sich gegen jede Form von Diskriminierung zu positionieren, unabhängig davon von wem oder was sie ausgeht;
  5. Kinder zu ermöglichen, sich an allen sie betreffenden Aktivitäten zu beteiligen und ihre Interessen und Kompetenzen bei der Planung, Umsetzung und Evaluierung der Aktivitäten einzubeziehen;
  6. Beschwerden als „Beitrag zur Qualitätsentwicklung“ zu behandeln und eine beschwerdeförderliche Haltung einzunehmen;
  7. beim Fotografieren, Filmen und Verfassen von Berichten stets das Einverständnis der Betroffenen einzuholen sowie Persönlichkeitsrechte und Datenschutz zu achten;
  8. im Rahmen unserer Presse-, Bildungs-, Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit sicherzustellen, dass Stigmatisierungen und Stereotypisierungen vermieden werden und die Würde der Kinder stets gewahrt bleibt;
  9. Verletzungen von Kinderrechten nicht als Bagatelle abzutun, sondern ihnen nachzugehen und einen Prozess zu initiieren oder zu unterstützen, der die Einhaltung der Kinderrechte wieder herstellt;
  10. als Teil des Vereins geeignete Instrumente einschließlich klar definierter Verantwortlichkeiten und Vorgehensweisen in den Bereichen Prävention, Krisenmanagement und Monitoring zu implementieren;
  11. bei Unklarheiten, Bedenken und Unsicherheiten nicht untätig zu bleiben, sondern Beratung einzuholen und an Fortbildungen teilzunehmen;
  12. innerhalb unserer Organisation, bei unseren Partner*innen und in unseren Netzwerken Bewusstsein für die Einhaltung der Kinderrechte zu schaffen und für das Thema zu sensibilisieren;
  13. Entscheidungsträger*innen in Politik, Recht und Wirtschaft im Sinne der Kinderrechte herauszufordern.

Bei mutmaßlichen Verstößen gegen diese Selbstverpflichtung ist der ProNATs e.V.-Vorstand verpflichtet, ihnen nachzugehen. Er kann bei Bedarf weitere Personen oder Institutionen zur Feststellung von Verstößen einschalten. Bei Feststellung von Verstößen sind angemessene Maßnahmen einzuleiten.

3. Beschwerdemanagement

Ein funktionierendes und transparentes Beschwerdemanagement, welches den international anerkannten Keeping Children Safe-Standards genügt, ist ein wichtiger Bestandteil jeder Kinderschutzstrategie.

Aufgrund der ehrenamtlichen Struktur von ProNATs e.V. gibt es keinen dezidierten Beschwerde- und Kinderschutz-Beauftragten. Stattdessen wird ein*e Beschwerde- und Kinderschutzbeauftragte*r zu Beginn eines jeden Projektes oder einer jeden Aktivität neu bestimmt und öffentlich bekannt gemacht. Diese Person soll entsprechende Qualifikationen im Kinderschutz aufweisen. Partnerorganisationen und Zielgruppen werden über das ProNATs e.V.- Beschwerdemanagement informiert, bei Bedarf in Einfacher oder Leichter Sprache. Kinder und Jugendliche werden ermutigt, ihre Unzufriedenheit über Probleme oder Missstände zu artikulieren. Sie werden zu Beginn einer Aktivität durch ProNATs e.V. auf ihre Beschwerdemöglichkeiten hingewiesen.

Übersicht der Abläufe

Das Beschwerdemanagement enthält folgende Schritte:
•    Hinweis oder Beschwerde formulieren
•    Eingang des Hinweises bzw. der Beschwerde
•    Erste inhaltliche Einordnung und Empfangsbestätigung
•    Konstitution des Bearbeitungsteams
•    Risikoanalyse und Sofortmaßnahmen
•    Hinweisgebendenschutz prüfen
•    Briefing der Öffentlichkeitsarbeit und ggf. Mittelgeber informieren
•    Klärung: Ist der Fall strafrechtlich relevant oder existieren andere relevante Rechtsfragen?
•    Interne Untersuchung
•    Maßnahmen ergreifen und Einspruchsfrist beachten
•    Fallabschluss, Information an Hinweisgebende und Dokumentation
•    Ggf. Monitoring im Nachgang

Der Umgang mit Verdachtsfällen

Hinweise und Beschwerden können ProNATs e.V. auf unterschiedlichen Wegen erreichen – anonym über für ProNATs e.V. tätige Personen, über Projektpartner*innen oder direkt von den Kindern und Jugendlichen.

Wegen der hohen Gravität der Folgen von Gewalt gegen Kinder und dem Bedarf, Betroffene*r und Täter*in so schnell wie möglich zu trennen, löst jede Meldung unverzüglich das Beschwerdemanagement und ggf. Sofortmaßnahmen aus. Im Rahmen dessen wird ein Bearbeitungsteam, bestehend aus Beschwerde- und Kinderschutzbeauftragte*r sowie mindestens zwei weiteren, fachkundigen Personen, gebildet. Mindestens eine dieser Personen muss projektunabhängig von ProNATs e.V. sein.

Innerhalb von höchstens 48 Stunden soll eine erste Fallbewertung stattfinden, dringende Kindesschutzmaßnahmen sollen getroffen werden.

Grundsätzlich können zwei verschiedene Konstellationen bei Kinderschutzfällen unterschieden werden:

  1. Verdachtsfall von Gewalt gegen Kinder/ein Kind durch eine der für ProNATs e.V. tätigen Personen;
  2. Verdachtsfall von Gewalt gegen Kinder/ein Kind durch Mitarbeitende*r einer Partnerorganisation oder deren Umfeld.

In letzterem Fall wird Kontakt mit der Partnerorganisation aufgenommen. Der Partnerorganisation obliegt die Verantwortung, geeignete Schritte einzuleiten. ProNATs e.V. unterstützt die Weiterbearbeitung des Verdachtes. In Ausnahmefällen behält sich ProNATs e.V. vor, Verdachtsfällen bei Partnerorganisationen selber nachzugehen.

In ersterem Fall werden Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben, interne Bestimmungen und Richtlinien oder Selbstverpflichtungen vom Bearbeitungsteam verantwortet, sorgfältig geprüft, bearbeitet und dokumentiert.

Das Bearbeitungsteam stellt sicher, dass der Schutz des betroffenen Kindes gewährleistet ist, bevor weitere Maßnahmen im Blick auf die beschuldigte Person eingeleitet werden. Alle Mitglieder des Bearbeitungsteams sind dazu verpflichtet, die gemeldeten Fälle streng vertraulich zu behandeln und die Identität von betroffenen Kindern, Informant*innen und beschuldigten Personen in angemessener Weise zu schützen. Sollten Mitglieder des Bearbeitungsteams eine persönliche Beziehung zu den im Verdacht stehenden Personen haben, nehmen sie aufgrund von Befangenheit nicht an der Fallbearbeitung teil. Jeder Verdachtsfall wird bis zu dessen Abschluss schriftlich protokolliert, die Aufzeichnungen unter Beachtung des Datenschutzes aufbewahrt.

Bedarfe werden situationsbezogen in gemeinsamer Einschätzung identifiziert. Hierbei muss das Kindeswohl (best interests of the child) im Einklang mit dem Kindeswillen stets an oberster Stelle stehen. Um der Fallbearbeitung gerecht zu werden, kann das Bearbeitungsteam externe fachliche Expertise hinzuziehen.

Kinder, die von Gewalt durch für ProNATs e.V. tätige Personen betroffen sind, benötigen während des gesamten Verfahrens Hilfe und Unterstützung. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass sie über die institutionellen Handlungsabläufe angemessen und altersgerecht informiert und am Ablauf des Beschwerdemanagement wesentlich mitwirken können. Verfahrenstransparenz ist gegenüber den beteiligten Personen unverzichtbar. Bei Bedarf werden ausgebildete Psycholog*innen herangezogen oder medizinische Versorgungsmaßnahmen eingeleitet. Weitere staatliche oder nichtstaatliche Institutionen können eingeschaltet werden, um den größtmöglichen Schutz und die bestmögliche Stärkung des Kindes zu gewährleisten. Das Umfeld des Kindes (Betreuer*in und/oder Familie) – wenn diese nicht selbst im Verdacht stehen – wird umgehend informiert und ebenfalls unterstützt, um dem Kind eine sichere Umgebung zu verschaffen.

Absprachen und Verantwortlichkeiten werden schriftlich festgehalten und auch nach Abschluss des Verfahrens nach einer verabredeten Zeit überprüft. Bei Nichteinhaltung wird das Fallmanagement ggf. erneut ausgelöst. Jeder einzelne Fall wird durch das Bearbeitungsteam abschließend dokumentiert und an zentraler Stelle, unter Beachtung der gesetzlichen Fristen, datengeschützt aufbewahrt. Zu den Kinderschutz-bezogenen Fällen haben ausschließlich das Bearbeitungsteam und der Vorstand von ProNATs e.V Zugang.

Die ProNATs e.V.-Kindesschutzstrategie wird in einem maximal fünfjährigen Zyklus sowie bei Bedarf vom Vorstand überprüft.

Aktualisiert: 03.12.2022